Liebe Leserin, Lieber Leser,
die mediale Sommerflaute wurde letzte Woche jäh unterbrochen. Die Mitglieder des inzwischen aufgelösten BT-Untersuchungsausschusses (PUA) Wirecard mussten eine schwere Schlappe beim BGH einstecken. Ihre Richter verweigerten dem inzwischen aufgelösten PUA-Wirecard die „unzensierte“ Veröffentlichung des Wambachberichts (HB Bericht vom 12.08.21).
Die Feststellung des BGH: "Nach Auflösung des PUA gibt es keine rechtliche Grundlage mehr für die Veröffentlichung." Diese formalistische Ansicht ist schwer nachzuvollziehen, denn der PUA führte die Untersuchung nicht zu seinem Zeitvertreib. Die Aufklärungsarbeit bei EY war notwendig und überfällig und dient u.a. notwendigen Unterrichtung der interessierten Öffentlichkeit, aber auch der Verbesserung der Abschlussprüfung im Big4-Bereich. Nach den Regeln der Fehlerkultur können nur bekanntgemachte Fehler abgestellt werden. Daran haben anscheinend EY und die BGH-Richter kein Interesse.
Über die mangelhafte Prüfungsqualität der Big4-Abschlussprüfer in Großbritannien berichtet seit Jahren regelmäßig die Financial Times (FT.com). Hier ein Auszug:
- 2019 Grant Thornton and PwC criticised for substandard audits
- 2020 Deloitte handed record insolvency fine over Comet failures
- 2020 PwC sued for £63m over Quindell deal ‘conspiracy’
- 2021 KPMG criticised for ‘unacceptable’ bank audits by UK regulator
Die Freude von EY über den BGH-Beschluss ist vielleicht doch verfrüht. Der FDP-Abgeordnete Toncar bringt für den im September neu zu wählenden Bundestag einen Folge-Untersuchungsausschuss mit eng begrenztem Fokus ins Gespräch: Das Handelsblatt zitiert Herrn Toncar: „Dieser sollte nicht das ganze Fass Wirecard wieder aufmachen, sondern sich gezielt die Rolle der Prüfer vornehmen. Mit EY sind wir nicht fertiggeworden.“
Den Wunsch von Herrn Toncar unterstützt inzwischen auch die Vertreterin der Grünen im Ex-PUA-Wirecard, Frau Lisa Paus.
Ich denke, diesen Wunsch sollten wir auch unterstützen. Einen Ergänzungs- besser Änderungswunsch hätte ich jedoch: Es sollte nicht nur um das EY-Prüfungs-Desaster Wirecard gehen, sondern um die Big4-Professional-Service-Firms insgesamt. Zur Einführung lesenswert ist der Artikel von Dr. Loscher aus August 2020: "Die schleichende Erosion."
Der Bundestag sollte sich also sehr intensiv mit der Prüfungsqualität der Professional Service Firms (PSF) beschäftigen. Dr. Jens Alt kam schon 2006 in seiner Dissertation „Organisationswandel und Unabhängigkeit in Professional Service Firms“ zu folgender Feststellung: Die PSFs sind fortwährend der Gefahr ausgesetzt, die Gewährleistung des öffentlichen Gutes zugunsten der Profitmaximierung zu vernachlässigen. Beim öffentlichen Gut geht es um nicht weniger als um den gesiegelten Bestätigungsvermerk zum Jahresabschluss und Lagebericht zur Gewährleistung objektiver und verlässlicher Kapitalmarktinformationen.
Die 222 seitige Dissertation ist sehr lesenswert. Ich lege sie auch den Mitgliedern des künftigen EY-Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sehr ans Herz.
Bei der FT kann der Deutsche Bundestag eine eine größere Anleihe nehmen und nachlesen, was die britischen Parlamentariern fordern. Nach großen prüferischen Schieflagen durch Big4-Gesellschaften in den letzten Jahren (z.B. Carillion, Thomas Cook, NMC Health) untersuchte das britischen Parlament die Big4-Prüfungen. Ergebnisse sollen sein: Organisatorische Aufteilung der PSF, also interne Abspaltung der Prüfungsabteilung von der Beratungsabteilungen, zu Steigerung der Unabhängigkeit.
Weiteres Vorbild für Deutschland könnte die Neuausrichtung der englischen PIE-Prüfungsaufsicht sein. Ein Parlamentsausschuss sieht stark in das Geschäftsmodell PSF eingreifende Maßnahmen vor. Die bisherige englische "APAS" , die FRC, wird - wegen erheblicher Schwächen in der Wirksamkeit - durch eine neue Behörde mit dem Namen ARGA (Audit, Reporting and Goverance Authorithy) ersetzt. Die englische Fortsetzung lesen hier.
Finance Magazin hält der Big4-Prüfungsqualität den Spiegel vor
Die Big4-Prüfungsqualität wurde von Julia Schmitt im Finance Magazin vom 29.07. mit Zitaten von Whisteblowern aus der Big4-Welt einen Härtetest unterworfen. Titel und Ergebnis der Aufklärungsschrift über die (Nicht)-Beachtung gesetzliche Berufspflichten nach § 43 WPO: „Big Four sind das dümmste Oligopol der Welt“.
Der Artikel ist gespickt mit Zitaten aus der Prüferwelt zu wahrscheinlichen Berufspflicht-verstößen der Professional-Service-Firms. Nachfolgend einige Auszüge:
„Die problematischen Arbeitsbedingungen begünstigen Fehler. Denn die hohe Arbeitsbelastung wirke sich dann irgendwann auch auf die Qualität aus“, betont ein Datenanalyst, der anonym bleiben möchte." (Gewissenhafte Berufsausübung?)
„Eigentlich will niemand so richtig, dass man Fehler in den Zahlen des Unternehmens findet“. (Gewissenhafte Berufsausübung, kritische Grundhaltung und Unabhängigkeit?)
„Man will den Kunden auch nicht verärgern. Die Kundenzufriedenheit ist sehr wichtig“, so ein junger Prüfungsassistent." (kritische Grundhaltung?)
„Man muss als Prüfer das Rückgrat haben, zum Vorstand zu gehen und zu sagen, dass man mehr Zeit und Geld braucht.“ So ein erfahrener WP. Dann gebe es aber Unternehmen, die mit Mandatsentzug drohten. Das ist für manche Prüfer ein Schreckensszenario: Wenn das Mandat weg ist, ist auch mein Erfolg weg, fürchten viele – das schadet der Karriere“, berichtet er. Manchmal hieße es dann: „Komm, mach jetzt Schluss, wir sind am Ende des Budgets.- Das haben wir alle schon erlebt.“ (Gewissenhafte Berufsausübung, kritische Grundhaltung und Unabhängigkeit?)
„Man ist letztlich auch nur ein Mensch. Man arbeitet während der „Hochsaison“ extrem hart, lebt nur für die Firma. Man will einfach nur noch fertig werden mit der Prüfung. Dann gibt es da vielleicht noch ein Dokument, das man anschauen könnte, aber nicht muss ... dann lässt man es auch eher. Das ist fatal.“ (Gewissenhafte Berufsausübung, kritische Grundhaltung und Unabhängigkeit?)
„Ich war überrascht, wie sehr man doch ins kalte Wasser geworfen wird“, berichtete eine Prüferin über ihre Zeit als Berufsanfängerin. In der Regel sollen sich die Einsteiger daher einfach an der Prüfung der Vorjahre orientieren. „Oftmals versteht man als Anfänger aber gar nicht wirklich, was im Vorjahr gemacht wurde. Man macht es dann einfach nach - aber mögliche Fehler aus dem Vorjahr erkennt man so natürlich nicht.“ Im schlimmsten Fall ziehen sich Fehler so jahrelang durch die Bilanzen. (Gewissenhafte Berufsausübung?)
So geht es den 7 Seiten lang….Die Einhaltung von Gewissenhaftigkeit, Unabhängikgkeit, Unparteilichkeit, Eigenverantwortlichkeit oder kritischer Grundhaltung ist nur sehr schwer zu erkennen. Nur die Verschwiegenheit ist nicht betroffen, ausser man sieht die Whistleblowerzitate als einen Verstoß gegen die Verschwiegenheit.
Am Ende des Berichts zitiert Frau Schmitt einen jungen Prüfungsassistenten, der eine fundierte Gegenmeinung zum Argument des WPK-Kammerpräsidenten Gerhard Ziegler liefert ("In Deutschland werden jährlich rund 40.000 Abschlussprüfungen mit einer wichtigen Prophylaxe- und Ordnungsfunktion beanstandungsfrei durchgeführt.“).
Die Erkenntnis und die Erfahrung des inzwischen beruflich umorientierten Prüfungsassistenten lautet: „Oftmals ist die Integrität der Kunden dafür verantwortlich, dass es wenige Bilanzskandale gibt – nicht die Gründlichkeit der Prüfer.“
Ich wünsche Ihnen ein erholsames und auch ein nachdenkliches Wochenende.
Ihr Michael Gschrei
Geschäftsführender Vorstand wp.net e.V.